Was macht Europa zukunftsfähig?

11.12.2017 | Wirtschaftsexperte Professor Achim Wambach sprach beim Konjunkturgespräch der IHK in Ravensburg

 

Europa steht vor riesigen Herausforderungen. Die Krisen der Gegenwart seien zu groß, als dass sie von jedem Mitgliedsstaat allein zu lösen wären, sagte Heinrich Grieshaber, Präsident der Industrie- und Handelskammer Bodensee-Oberschwaben (IHK), in seiner Begrüßung beim IHK-Konjunkturgespräch, das bereits zum zweiten Mal in Kooperation und mit Unterstützung der BW-Bank stattfand. „Ich bin überzeugt davon, dass die bessere Zukunft unseres Landes und unserer Wirtschaft nur in einer modernen Europäischen Union liegen kann“, betonte Grieshaber. Die deutsche Wirtschaft habe nach der Bundestagswahl auf das Aufbrechen von Blockaden gehofft. Die Politik müsse in der Zuwanderung, der Energiepolitik und der dringend erforderlichen Modernisierung – Digitalisierung, Bildung und Infrastruktur – endlich ihr Lagerdenken überwinden, forderte der IHK-Präsident.


Fast 200 Interessierte waren zum mittlerweile zehnten IHK-Konjunkturgespräch nach Ravensburg gekommen, um die Ausführungen von Gastredner Professor Achim Wambach, Präsident des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) in Mannheim zu „Globalisierungsängsten und Protektionismus: Herausforderungen für Deutschland, Europa und die Weltwirtschaft“ zu hören.


Dass die konjunkturelle Situation in der Region Bodensee-Oberschwaben unverändert gut ist, berichtete zuvor Bettina Wolf vom IHK-Geschäftsbereich Standortpolitik den Gästen. Laut aktueller IHK-Herbstumfrage beurteilen rund 63 Prozent der regionalen Unternehmen ihre Geschäftslage als gut, knapp 32 Prozent der Unternehmen sind mit ihrer Geschäftslage zufrieden und nur 5 Prozent beurteilen ihre Geschäftslage als schlecht. Die Unsicherheiten hätten zwar zugenommen, sagte Bettina Wolf weiter. Steigende Beschäftigungs- und Investitionspläne zeigten aber, dass die Unternehmen grundsätzlich von ihrem weiteren Geschäftserfolg überzeugt sind. Der regionale Konjunkturverlauf bleibe auf Rekordhöhe. Die Umsätze hätten insgesamt in den vergangenen Monaten zugelegt. Der Auftragseingang verlaufe überdurchschnittlich gut: „40 Prozent der Unternehmen rechnen mit steigenden Bestellungen“, so Bettina Wolf. Starke Signale kämen aus dem Inland, aber auch die Exporterwartungen der Industrie blieben stabil. An erster Stelle der Risikoeinschätzung bei den Betrieben stehe mit fast 60 Prozent der Nennungen der Fachkräftemangel. „Als weitere Risiken nennen die Unternehmen die Arbeitskosten, die Energie- und Rohstoffpreise sowie die Wirtschaftspolitik“, so Bettina Wolf.


Die Weltwirtschaft 2018 sei durch verbesserte Konjunkturerwartungen im Euroraum und eine wirtschaftliche Erholung in den USA sowie durch ein hohes Wachstum in China gekennzeichnet, gab Professor Wambach in seinem Vortrag zu bedenken. Der Wirtschaftsexperte ist auch Vorsitzender der Monopolkommission, welche die Bundesregierung in Wettbewerbsfragen berät, und seit Januar dieses Jahres Vorsitzender des Vereins für Socialpolitik, einer der größten Vereinigungen von Wirtschaftswissenschaftlern in Europa. Nach dem Brexit, der deutlich gemacht habe, dass nicht jedes Mitgliedsland sich bestimmten Projekten irgendwann doch anschließen werde, eröffne eine EU mit variabler Geometrie die Möglichkeit, Dynamik in die europäische Entwicklung zurückzubringen, ist Wambach überzeugt. Schon jetzt entspreche dies weitgehend der Wirklichkeit in der heutigen EU, wo bei bestimmten Projekten wie Schengen oder dem Euro nicht alle mit dabei seien. Wenn Abkommen zugelassen würden, die nicht zwingend von allen EU-Ländern ratifiziert werden müssen, könnten in Europa bei unterschiedlicher Zusammensetzung der Mitgliedsstaaten Synergien genutzt werden, so Wambach weiter. Durch eine Verlagerung der Entscheidung zur Teilnahme auf die nationale Ebene könne zudem dem Gefühl der Fremdbestimmung durch die EU-Institutionen in Brüssel entgegengewirkt werden. Die Stärke der EU liege darin, dass ihre Mitglieder Projekte wie den Binnenmarkt oder die Umsetzung fairer Wettbewerbsregeln gemeinsam effizienter und effektiver bewältigen können als allein auf nationaler Ebene. Auf dem Gebiet einer gemeinsamen Flüchtlings-, Außen- oder Verteidigungspolitik könnte dies seiner Einschätzung nach ähnlich sein.


Erstmals beim IHK-Konjunkturgespräch im 150. Jubiläumsjahr der IHK gab es eine von IHK-Hauptgeschäftsführer Professor Dr. Peter Jany moderierte Podiumsdiskussion zur Zukunftsfähigkeit Europas. Europa brauche eine stabile Gesellschafts- und Wirtschaftspolitik, waren sich die Diskussionsteilnehmer – Professor Wambach, die Europaabgeordneten Maria Heubuch (Grüne) und Norbert Lins (CDU), Uwe Burkert (Chefvolkswirt der Landesbank Baden-Württemberg) und ifm-Vorstandsvorsitzender Martin Buck – einig. Nur mit offenen Diskussionen und Transparenz in allen Bereichen könne es gelingen, die Akzeptanz für ein geeintes Europa und gemeinsame Entscheidungen zu fördern. Für die Zukunftsfähigkeit Europas gelte es daher auch Überzeugungs- und Sensibilisierungsarbeit zu leisten.

Sprachen beim IHK-Konjunkturgespräch über die Zukunft Europas (von links): Markus Kistler (Direktor BW-Bank), IHK-Hauptgeschäftsführer Professor Dr. Peter Jany, Uwe Burkert (Chefvolkswirt der Landesbank Baden-Württemberg), Maria Heubuch (MdEP, GRÜNE), Norbert Lins (MdEP, CDU), Achim Wambach (Präsident des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung in Mannheim), IHK-Präsident Heinrich Grieshaber und Martin Buck (Vorsitzender des Vorstands ifm stiftung & co. kg Tettnang). Bild: IHK/Derek Schuh
Sprachen beim IHK-Konjunkturgespräch über die Zukunft Europas (von links): Markus Kistler (Direktor BW-Bank), IHK-Hauptgeschäftsführer Professor Dr. Peter Jany, Uwe Burkert (Chefvolkswirt der Landesbank Baden-Württemberg), Maria Heubuch (MdEP, GRÜNE), Norbert Lins (MdEP, CDU), Achim Wambach (Präsident des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung in Mannheim), IHK-Präsident Heinrich Grieshaber und Martin Buck (Vorsitzender des Vorstands ifm stiftung & co. kg Tettnang). Bild: IHK/Derek Schuh

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