"Meine
Tätigkeit, die während 13 Jahren in uneigennütziger Weise aufs Wohl meiner
Vaterstadt abgestellt war, hat […] ihr Ende gefunden". Mit diesen Worten
zog Bürgermeister Rudolf Walzer in Erinnerung an die Geschehnisse im Mai 1945
Bilanz. Der gebürtige Ravensburger war am 12. Mai 1932 zum Bürgermeister
gewählt worden. Knapp ein Jahr später trat er in die NSDAP ein und behielt auch
in der Zeit des Nationalsozialismus seine Position im Rathaus. Als die
französische Armee die Stadt besetzte, wurde Walzer am 14. Mai 1945 seines
Amtes enthoben. Anschließend plante Walzer die Rückkehr in seinen Beruf als
Maschineningenieur. Doch unter französischer Besatzung setzten nun die
Maßnahmen zur Entnazifizierung ein. Die nationalsozialistische Ideologie sollte
ausgemerzt und deren Anhänger zur Verantwortung gezogen werden. Auch Walzer war
betroffen und wurde vorübergehend mit einem Berufsverbot belegt.
Die Frage, inwieweit
Walzer sich dem verbrecherischen Regime der Nationalsozialisten angepasst, es
gar aktiv unterstützt hatte, wurde in den Jahren 1946 bis 1949 vor
verschiedenen Untersuchungsausschüssen und Spruchkammern verhandelt. Am 12. Mai
1949 wurde Walzer als "Mitläufer" eingestuft und zu einer Geldstrafe
von 100 DM verurteilt. Ihm könne "ein besonders starkes Eintreten für die
Ziele der NSDAP nicht vorgeworfen werden". Das Urteil entsprach dem
Zeitgeist, erhielt doch ein Großteil der vor den Spruchkammern Angeklagten die
Einstufung als "Mitläufer". Die Frage nach der individuellen
Verantwortung eines Einzelnen für sein Handeln im NS-Regime muss jedoch offenbleiben.
Im Jahr 1949 begann Walzer mit dem Aufbau einer Maschinenbauwerkstatt, die er
bis Mitte der 1960er-Jahre betrieb. Er verstarb am 12. Januar 1970 im Alter von
80 Jahren in Ravensburg.
Quellen
und Literatur: Stadtarchiv Ravensburg X Bü 324-2; D 13 Sterberegister 1970;
Staatsarchiv Sigmaringen Wü 13 T 2 Nr. 2684/239; Peter Eitel: Rudolf Walzer –
Ravensburgs Bürgermeister im Dritten Reich, in: Peter Eitel (Hg.): Ravensburg
im Dritten Reich, Ravensburg 1997, S. 87-100.
Nach
der Befreiung Frankreichs überquerte die 1. französische Armee am 31. März 1945
in der Pfalz den Rhein und rückte von dort aus in den Südwesten vor. Während in
Ravensburg Kreisleiter Carl Rudorf mit dem "Volkssturm" Widerstand zu
leisten gedachte und der Übergangsbürgermeister Max Luib das Zeigen weißer
Flaggen als "ehrlos" bezeichnete, entschied sich der amtierende Ravensburger
Bürgermeister Rudolf Walzer in den letzten Kriegstagen zur kampflosen Übergabe
der Stadt. Ravensburger Bürger hatten ihn am 19. April in einem anonymen
Schreiben dazu aufgefordert. Weil ihm die Verhaftung durch die Geheime
Staatspolizei drohte, versteckte Walzer sich nach eigenem Bericht am 23. April außerhalb
der Stadt, kehrte am 26. April jedoch zurück. Im Klösterle, das bereits seit
Jahren als Lazarett fungierte, hatte sich nach eigener Erzählung des Stabsarztes
Dr. Karl Lang in den letzten Kriegswochen ein bewaffneter Verband aus verwundeten
Offizieren und anderen Männern organisiert. Die Gruppe um Karl Lang soll sich
dazu bereit gehalten haben, mit Waffengewalt einzuschreiten, hätte die
Ravensburger Kreisleitung mit Hilfe der SS eine kampflose Übergabe der Stadt
gefährdet. Karl Lang soll auch Sorge dafür getragen haben, dass Bürgermeister
Walzer sich bis zum Eintreffen der französischen Truppen in Sicherheit im
Klösterle zur Verfügung halten konnte. Am 28. April zogen französische Panzertruppen
in die Stadt, um Rathaus und Kreisleitung unter ihre Kontrolle zu bringen. Auf
Mehlsack und Rathaus sollen weiße Flaggen geweht haben, während sich laut
Augenzeugenberichten im Amtszimmer des Bürgermeisters die Übergabe der Stadt an
die Besatzungstruppen vollzog. Für die Zivilbevölkerung erließ die französische
Ortskommandantur noch am 28. April 1945 eine nächtliche Ausgangssperre und
forderte die sofortige Ablieferung sämtlicher Waffen. Bei Zuwiderhandlung
sollten die Eigentümer erschossen und ihre Häuser in Brand gesteckt werden.
Literatur und Quellen: Stadtarchiv Ravensburg D 01 Entschließungsbuch 1945 Nr. 161, S 60 A
02/004, X 14, X 324-1 und 324-2, X 455; Politisches Archiv des Auswärtigen
Amtes Berlin RZ 512/127528; Schwäbische Zeitung
Ravensburg 26.04.1946.
1800 laufende Meter Archivgut verwahrt das Stadtarchiv
Ravensburg – von Urkunden über Akten bis hin zu Bänden, Karten, Fotos und
digitalen Unterlagen. Um die Menge der Archivalien für die Öffentlichkeit
nutzbar zu machen, ist ihre Erschließung unerlässlich. Alle Archivalien werden
dabei mit einem Titel, einer Beschreibung ihres Inhalts und ihrer Laufzeit in
einer Datenbank erfasst. Denn ohne Erschließung gäbe es keine historischen Erkenntnisse, wie das
Beispiel der Lebensgeschichte von Alfred Weil demonstriert.
Alfred Weil wurde am 01. Dezember
1923 in Breisach am Rhein in eine jüdische Familie geboren. Nach 1933 verfolgten
die Nationalsozialisten ihn und seine Familie. Bei Kriegsbeginn wurde Alfred
Weil mit seinen Eltern nach Überlingen "evakuiert". Im April 1942 erfolgte die Deportation in das Ghetto
Piaski in Polen, wo die Familie getrennt wurde. Alfred Weil kam in ein
Arbeitslager nach Lublin. Dort wurde er vermutlich im Jahr 1943 ermordet.
Bisher unbekannt war, dass Alfred
Weils Biographie einen Bezug zu Ravensburg hat. Bei der Erschließung von Akten
aus der Zeit des Nationalsozialismus stieß das Stadtarchiv auf einen
Aktenvermerk des Bürgermeisters Rudolf Walzer aus dem Jahr 1939. Daraus geht
hervor, dass der zu diesem Zeitpunkt 15 Jahre alte Alfred Weil in der
städtischen Kiesgrube Zwangsarbeit leisten musste. Für die Rekonstruktion der
Biographie von Alfred Weil und die Erinnerungskultur - nicht nur in Ravensburg - sind das wichtige
Erkenntnisse, die ohne die Erschließung von Archivgut nicht möglich wären.
Als die Ravensburger Bürgerinnen und Bürger am 16. Juli 1914 die Zeitung aufschlugen, stach ihnen die Schlagzeile "Explosion" sicherlich sofort ins Auge. Das nächtliche Unglück hatte sich im Verwaltungsgebäude des städtischen Gaswerks zugetragen. Besonders betroffen war das Büro des Kassiers: Fensterscheiben zerbrachen und die Zimmereinrichtung wurde zerstört. Das Unglück geschah "auf bisher ungeklärte Weise", wie der Oberschwäbische Anzeiger festhielt. Brisante Informationen zum Fall liefern die Akten des städtischen Gas- und Wasserwerks, die im Stadtarchiv Ravensburg aktuell erschlossen werden: In der besagten Nacht lagen die Kassenbücher nicht wie vorgeschrieben im Kassenschrank, sondern offen auf dem Schreibtisch des Kassiers. Nur durch Zufall überstanden sie die Explosion unbeschadet. Noch am Unglückstags brachte ein Kassensturz zutage: 3.000 Mark fehlten.
Der Verdacht fiel schnell auf
Kassier Bernhard Bühler. Hatte er den Brand gelegt, um seinen Diebstahl aus der
Gas- und Wasserwerkskasse zu vertuschen? Der Fall landete vor dem Schwurgericht
am Landgericht Ravensburg. Im November 1914 sprachen die Geschworenen Bühler
der Unterschlagung und versuchten Brandstiftung schuldig. Das Urteil: Drei
Jahre Zuchthaus und Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte.
Bei der Erschließung von Unterlagen stößt das Stadtarchiv
immer wieder auf spannende Funde, muss aber auch mit Genauigkeit und kritischem
Blick vorgehen. Nicht immer entsprechen die vorgefundenen Angaben auf
Ordnerrücken, Aktendeckeln und Fotorückseiten den Tatsachen. So auch im Fall
dieses Fotos. Zeigt es wirklich die Biberacher Innenstadt im Jahr 1897? Ein
Faktencheck.
In der historischen Altstadt hat sich eine große
Menschentraube versammelt, die Menschen sind zu Fuß, mit dem Fahrrad oder sogar
per Pferdefuhrwerk in die Innenstadt geströmt. Ein unbekannter Fotograf hielt
die Szene für die Nachwelt fest. Das Foto macht neugierig: Was begeisterte die
Menschen so sehr, dass sie in Scharen in die Innenstadt gekommen waren?
Auf der Rückseite des Fotos ist "Biberach 1897"
vermerkt. Doch wer genau hinsieht, wird stutzig: Steht das markante Gebäude im
Zentrum des Fotos wirklich in Biberach? Eine Anfrage beim dortigen Stadtarchiv
bringt Klarheit. Das Foto stammt nicht aus Biberach. Stattdessen ist auf der
Aufnahme der Marktplatz in Schwäbisch Gmünd abgelichtet. Damit ist das Rätsel um
den Ort gelöst. Ungeklärt bleibt weiterhin, weshalb die Menschen auf dem Foto
sich so zahlreich in der Gmünder Innenstadt versammelt hatten.
Der Kontext des Fotos innerhalb der Unterlagen des
Ravensburger Liederkranzes lässt eine Vermutung zu: Vom 23. bis 24. Juni 1907
fand in Schwäbisch Gmünd das 28. Schwäbische Sängerfest statt. Für die Stadt
war das ein herausragendes Ereignis, wovon heute noch Festschriften und
Presseberichte zeugen. Dass das Sängerfest die zahlreichen Menschen auf den
Gmünder Marktplatz lockte, ist zumindest nicht ausgeschlossen.
Ravensburg
im August 1900: Es war eine laue Sommernacht, als ein lautes Geräusch den Papierfabrikanten
Aubert Ulrich aus dem Schlaf riss. Sofort war er mit den Gedanken bei seiner
Papierfabrik: Es würde doch kein Unglück geschehen sein? Alarmiert sprang
Aubert Ulrich aus dem Bett, um nach dem Rechten zu sehen. Doch seine
Mitarbeiter, die nachts die Papierproduktion am Laufen hielten, schauten ihn
nur verwundert an. Keiner hatte das laute Geräusch gehört. Nun hellwach blickte
Aubert Ulrich sich prüfend um. Da sah er, wie ein Mitarbeiter ein Aktenbündel
in die Papiermühle warf. Liederkranz lautete
die Aufschrift – Aubert Ulrich reagierte sofort: Wagemutig griff er zwischen
die Mahlsteine der Papiermühle und entriss ihr die wertvollen Unterlagen.
So
zumindest hielt Aubert Ulrich seine Erinnerungen an diese wundersame Nacht zwei
Jahre später – anlässlich des 75-jährigen Jubiläums des Ravensburger
Liederkranzes – auf Papier fest. Zu diesem Anlass überreichte er dem Gesangsverein
die geretteten Unterlagen. Darunter etwa das erste "Cassa-Buch", in
welchem der Verein seit seiner Gründung im Jahr 1827 Einnahmen und Ausgaben
festgehalten hatte. Beim vorsichtigen Umblättern der schon leicht brüchigen
Seiten erfährt man von ersten Gesangsauftritten und geselligen Vereinsausflügen.
Das
Cassa-Buch sowie weitere Schätze aus
der fast 200-jährigen Geschichte des Liederkranzes werden heute im Stadtarchiv
Ravensburg verwahrt und derzeit erschlossen.
Das "Adreßbuch der Oberamtsstadt Ravensburg" aus
dem Jahr 1930 enthält eine kreative Werbemaßnahme des damaligen städtischen Gaswerks,
die in der aktuellen Gaskrise eine besonders interessante historische Quelle
darstellt. Auf allen Seiten des über zweihundert Seiten starken Bandes erschien
ein Hinweis zu den vielfältigen Einsatzmöglichkeiten von Gas im Haushalt. Aufgefordert
wurde zum Kochen, Braten, Dörren, Rösten, Sterilisieren, Bügeln, Baden,
Waschen, Heizen, Löten und Schweißen mit Gas. Hintergrund der Werbemaßnahme,
die in der Reihe der Adressbücher der Stadt einzigartig blieb, war sicherlich der 1929 vollendete Neubau des Apparate- und Reinigungshauses des Ravensburger Gaswerks in der
Georgstraße und der Rückgang des Gaslichtkonsums durch die Umstellung auf
elektrische Beleuchtung, vielleicht auch ein Einbruch des Gaskonsums aufgrund
der Weltwirtschaftskrise. Gas blieb zu dieser Zeit jedoch weiterhin das bevorzugte
Mittel zum Heizen, zum Kochen und Backen und zum Baden mit
Gasbadeeinrichtungen. Auch Gaskühlschränke kamen in dieser Zeit auf. Mit seiner
Werbeaktion wies das städtische Gaswerk auch auf seinen ständigen
Ausstellungsraum "am Platz" in der Bauhütte hin, in dem man sich über
den Einsatz von Gas im Haushalt informieren konnte. Das Gaswerk in der
Georgstraße hatte am 1. November 1862 seinen Betrieb aufgenommen und stand seit
1867 unter städtischer Verwaltung.
Hubert Vogler (geboren 1876 in Ravensburg) ist Zeichner
und Verfasser dieser Karte über das Flussgebiet der Schussen und Rothach, die
er zu Ostern 1894 dem königlichen Oberjägermeister und Vorsitzenden des
württembergischen Landesfischereivereins Detlev von Plato (1846-1917) widmete.
Thematisiert werden in diesem wertvollen Dokument die mehr als zweihundert
fischereischädigenden Anlagen und Hindernisse, der Rückgang des Fischbestandes
sowie die Verunreinigung der Schussen, der Wolfegger Ach und ihrer Nebenflüsse
zu Ende des 19. Jahrhunderts. Verursacht wurden diese durch die Papierfabriken
in Mochenwangen, Baienfurt und in der Höll bei Wolfegg sowie durch die
Zuckerfabrik Altshausen. Hubert Vogler, der ein Jahr später auch ein Werk über
die Otterjagd mit Hunden verfasste, lag als Jäger, Angler und Verfechter des
Artenschutzes daran, durch neue gesetzliche Regelungen die fischschädigenden
Hindernisse zu beseitigen, Fischwege anzulegen und für die Verunreinigung der
Gewässer durch Gewerbeanlagen zu sensibilisieren. So hoffte er, dass es ihm die
"stummen" Fische mit einem fröhlichen "Petri Heil" danken
werden.
Aus privatem Besitz konnte das Stadtarchiv diesen wertvollen und seltenen Fahrplan der von 1888 bis 1959 zwischen Ravensburg und Weingarten kursierenden Straßenbahn übernehmen. Der Fahrplan stammt aus dem Jahr 1889 und damit aus der Frühzeit des "Bähnle". Los ging es am Bahnhof in Ravensburg. Über die Haltestellen am Frauentor, am Gasthaus Heilig Kreuz, am Krankenhaus 14 Nothelfer und an der damaligen Schlossstraße (heute Ecke Abt-Hyller-Straße/Waldseer Straße) fuhr die Bahn in 20 Minuten zum Bahnhof nach Weingarten. Nachdem es 1957 zu einem schweren Unfall gekommen war und ein Jahr später die Höchstgeschwindigkeit der Bahn auf 10 km/h reduziert worden war, wurde der Betrieb der Lokalbahn zum 1. Juli 1959 eingestellt und durch Omnibusse der Deutschen Bahn ersetzt.
Unter den Bänden der Alten Ravensburger Stadtbibliothek
befindet sich eine besondere Rarität der Einbandforschung. Häufig sind ältere Bücher
mit den Resten mittelalterlicher Pergamenthandschriften eingebunden worden. Meist handelt es sich dabei um lateinische, weniger um deutschsprachige
Handschriften. Hier werden zwei 1538 und 1539
erschienene Drucke (Nr. 2370) von einem Pergamentstück der zweiten Hälfte des
14. Jahrhunderts zusammengehalten, das ein Textfragment aus dem Lehenrecht einer
Version des Sachsenspiegels darstellt. Diese besondere Ravensburger Handschrift
wurde jetzt in den Handschriftencensus (handschriftencensus.de) aufgenommen,
eine Bestandsaufnahme der handschriftlichen Überlieferungen deutschsprachiger
Texte des Mittelalters.
Auf dieser gemalten Postkarte aus der Zeit um 1910 zeigt sich Ravensburg von seiner heiteren Seite. Der Mehlsack, auf dem die württembergische Fahne weht, übertrifft die Veitsburg und den Veitsburgpavillon mit einer grandiosen Aussicht auf die Alpenriesen. Kämen dazu noch ein oder zwei Bier von der Veitsburg per Seilwinde herüber, so könnte auf dem Mehlsack – in unsere Zeit übertragen – ein pandemie-konformer "Ein-Personen-Biergarten" eröffnet werden.
Do | 09.00 - 12.00 Uhr |
14.00 - 18.00 Uhr | |